Vor 40 Jahren!

Am 4. Mai 1985 fuhren die letzten Straßenbahnen durch Kiel. Zeit für einen Rückblick auf das letzte Jahr der Straßenbahnära.

1984 – Umstellung auf den Busbetrieb nimmt Gestalt an

Am 24. Mai 1984 begann die Kieler Verkehrs-AG (KVAG) auf dem Betriebshof Gaarden in der östlichen Abstellhalle mit der Demontage der Oberleitung auf den Gleisen 8 – 14 um so die Halle für die Abstellung von Bussen umzubauen. Nur Gleis 14 blieb bis zur Halleneinfahrt erhalten, um bei Bedarf noch Straßenbahnen in die Hauptwerkstatt fahren zu können. Anfang 1985 endete auch das – die Hauptwerkstatt wurde entkernt und umgebaut.
Gleichzeitig entstand an der Einfahrt zur Straßenbahn-Waschhalle ein tiefes Loch für die neue Bustankstelle mit drei Dieseltanks à 100.000 Litern und einem Heizöltank mit 60.000 Litern.

Abschied von der Asmus-Bremer-Bahn

Zum Kieler Umschlag am 25. Februar 1984 fuhr die Asmus-Bremer-Bahn ein letztes Mal – allerdings ohne Beiwagen Nr. 62, der keine Zulassung mehr hatte.

Letzte Fahrt durch die Bergstraße

Am 29. September 1984 fiel der erste Streckenabschnitt den Umbaumaßnahmen zum Opfer. Am Dreiecksplatz hieß es um 20:08 Uhr, vom Kanal kommend: „Letzte Fahrt durch die Bergstraße, den Martensdamm bis zur Holstenbrücke.“
Einen Tag später, mit dem Winterfahrplan 1984/85, fuhr die Straßenbahnlinie 4 bis zu ihrer Einstellung auf „Umleitungskurs“ über die Brunswik.

Kein Zurück

Anfang 1985 wurden Hebeeinrichtungen und Werkzeuge aus der Hauptwerkstatt kurzerhand in die Betriebshofwerkstatt verlegt und dort montiert, um den ungestörten Umbau der Hauptwerkstatt für den Busbetrieb zu ermöglichen.
Schließlich wurden auch die Wartungsgruben in der Straßenbahn-Waschhalle zugeschüttet.

Verschrottung im Blick

Die Bewohner im Stadtteil Wik, nahe der Endhaltestelle am Kanal, wurden hellhörig, als die KVAG ankündigte, die Straßenbahnwagen nach der Einstellung im Mai 1985 dort zur Verschrottung abzustellen. In den Kieler Nachrichten war 1984 zu lesen: „In ein bis zwei Monaten, so schätzt KVAG-‚Chef-Schaffner‘ Heinrich Scharfenberg, wird die ganze Verschrottungsaktion beendet sein.“ Doch diese Idee wurde rasch verworfen – es kam anders.

Fahrzeugabgabe und Unfall

Bereits 1984 gingen weitere Straßenbahnen an Museen und andere Einrichtungen. Ein Unfall am 28. März 1985 mit einem Gelenkbus führte zur Ausmusterung der Triebwagen 244 und 250.

Der letzte Tag

Am 4. Mai 1985 rollten alle fahrtüchtigen Straßenbahnwagen ein letztes Mal durch Kiel – für viele kostenlos oder mit einem Sonderfahrschein.
Am Berliner Platz versteigerte die KVAG Erinnerungsstücke an die Straßenbahn sowie 150 frisch geprägte Erinnerungsmedaillen. Die von einer Versicherung herausgegebenen 1.200 Poster mit allen Kieler Straßenbahnen fanden ebenfalls reißenden Absatz und der Kieler Philatelistenverein präsentierte einen Sonderstempel.
Ab Mittag spielte das KVAG-Orchester, wobei bestimmte Titel wie „Junge, komm bald wieder!“, „Wer soll das bezahlen?“ oder „Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen [...]!“ nicht gespielt werden durften.
Ab 18 Uhr machten sich dann nach und nach alle Bahnen auf den Weg zurück zum Betriebshof, wo sie mit Musik empfangen wurden. Es war bereits um 20:45 Uhr dunkel, als die letzte Straßenbahn in Kiel mit Fahrer Karl-Heinz Rienow einrückte. Nach einer letzten Ehrenrunde über den Betriebshof war dann endgültig Schluss. Das Licht in der Abstellhalle wurde gelöscht, und eilig stellte die KVAG den Strom auf der Strecke ab. Rien ne va plus – nichts ging mehr, eine 104-jährige Geschichte war zu Ende geschrieben.

Hüt is dat nun passeert

Zur Erinnerung an die Kieler Straßenbahn übergab Fahrer Rienow den Kollegen später eine handgefertigte Klappkarte, die die letzten Sekunden vor dem „Aus“ festhielt. Darauf hatte er folgendes plattdeutsches Gedicht handschriftlich verfasst:

„Hüt, am 4. Mai 1985, is dat nun passeert,
de Strotenbohn hett in Kiel dat letzte Mol verkehrt.
Bald 90 Jahr hett uns Elektrische in Kiel bestohn,
morgen is dat nun vörbi, dat kann man noch gar nicht verstohn.
Ick hoff, man ward uns Elektrisch nicht so schnell vergeten,
vellicht kümmt se ja mol wedder, wer kann dat weeten.“


Gastbeitrag aus dem „Fahrplan“ der KVG Kieler Verkehrsgesellschaft mbH von André Hellmuth
TITELBILD: Nach und nach fuhren am 4. Mai 1985 die Straßenbahnen in den Betriebshof Gaarden ein. Hier bahnt sich das Gespann aus den beiden Großraumwagen 241 und 251 einen Weg durch die Menschenmenge. Dem Triebwagen mit der Nummer 241 blieb das Schicksal als Alteisen erspart – er befindet sich heute im Museum am Schönberger Strand.
AFH. 1985-05-04
Kulisse Bootshafen
Ein vertrautes Bild in den letzten Tagen der Straßenbahn: Vor der eindrucksvollen Kulisse am Bootshafen rollt sie noch einmal durch das Herz der Stadt.
AFH. 1984-03
Auf dem Sophienblatt
Vollbesetzt zeigt sich der Großraumwagen am letzten Betriebstag nachmittags auf dem Sophienblatt und fährt die Haltestelle Hauptbahnhof an – Abschied liegt in der Luft.
AFH. 1985-05-04
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Der letzte Straßenbahnzug rückt endgültig ein: Gelenktriebwagen 270 mit Anhänger 81 – das Ende einer Ära.
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Kaum ist der Straßenbahnbetrieb Geschichte, verschwinden auch die letzten Gleise am Bootshafen – als wäre sie nie da gewesen.
AFH. 1985-07