Beiwagen 83, heute Teil eines Arbeitszimmers

In Krefeld bei der Düsseldorfer Waggonfabrik (DÜWAG) als Motorwagen gebaut, nach Lübeck geliefert, Weiterverkauf nach Kiel, Einsatz auf der Straßenbahnlinie 3, umgebaut zum Beiwagen (Bw), abgestellt, verkauft an einen Sportverein, Weitergabe an die „Werkstatt am Drachensee“ und Verschrottung im Jahr 2000. So die bewegte Geschichte des Fahrzeugs in der Kurzfassung, die hier zu Ende wäre, wenn nicht ein findiger Sammler und Freund der Kieler Straßenbahn Teile des Innenraumes heute als Einrichtung im Arbeitszimmer nutzen würde.

Über Lübeck nach Kiel zur KVAG

Im Jahr 1949 baute die DÜWAG den zweiachsigen Motorwagen für die Lübecker Straßenbahn. Nach der Betriebseinstellung im Jahr 1960 verkaufte der Betrieb den Wagen – zusammen mit anderen Fahrzeugen – an die Kieler Verkehrs AG (KVAG). Die Anschaffung des Wagens ist im Hauptrevisionsbuch unter dem 01.06.1960 dokumentiert. Nach Anpassungen an die Kieler Verhältnisse (elektrische Bremse, neuer Stromabnehmer, neue Schienenbremsaufhängung, …) ging das Fahrzeug am 27.11.1960 als Triebwagen 203 in Betrieb und kam auf der Linie 3 zum Einsatz.

Umbau zum Beiwagen

Dem Wagen stand nur eine kurze Einsatzzeit bevor, da bereits Anfang der 1960er Jahre im Kieler Rathaus daran gearbeitet wurde, die Straßenbahn in Kiel einzustellen und durch Diesel-Busse zu ersetzen; dies ungeachtet aller bisher getätigten Investitionen in Millionenhöhe in die Zukunft der „Schiene“. Damals war das vorherrschende sozialdemokratische Gedankengut, um jeden Preis modern zu sein, und da war die Straßenbahn dem Individualverkehr – der autogerechten Stadt – im Weg.
So begannen 1964, noch vor der offiziellen Bekanntgabe einer Umstellung der Straßenbahnlinie 3 auf Busbetrieb, die Vorbereitungen, den Triebwagen zum Einrichtungs-Beiwagen umzubauen. Die Zeichnungen zum Umbau waren schon Ende 1963 entstanden! Dieser fassungsstarke Beiwagen (109 Personen) kam nach Indienststellung am 21.04.1966 vorwiegend auf den Linien 1 und 2 zum Einsatz. Doch auch diese Investition in den Umbau des Wagens war mit Einstellung der Straßenbahnlinie 2 im Jahr 1969 (nach drei Jahren) verbrannt. Den Wagen stellte die KVAG ungenutzt in der fast leeren Abstellhalle ab!

Über Umwege ins Arbeitszimmer

Am 24.06.1975 nahm die KVAG den Beiwagen außer Betrieb und stellte diesen zunächst ab. 1980 verkaufte die KVAG den Wagen an den THW-Sportverein, der diesen im September als Aufenthaltsraum und Umkleide nutzte. Daher erfolgte teilweise der Ausbau der Inneneinrichtung, die eine Familie teilweise als Kinderzimmer verwendete.
Über ein Zeitungsinserat ging der Wagen 1988 weiter an die „Werkstatt am Drachensee“ und stand hier bis zu seiner Verschrottung im Jahr 2000. Neben dem „Verein Verkehrsamateure und Museumsbahn e. V. (VVM)“ sicherten sich Sammler erhaltenswerte Gegenstände.
Im Jahr 1999 übernahm der Straßenbahnfreund Jörg Classen die nicht mehr als Kinderzimmer genutzten Teile vom Wagen 83 und begann 2012 mit der Teilrekonstruktion des alten Innenraumes. Nach der Fertigstellung stellte Classen die Konstruktion repräsentativ im Familienzimmer auf. Mittlerweile haben die so erhaltenen Teile einen weiteren Umzug aus der Kieler Innenstadt an den Stadtrand überlebt und bereichern heute das Arbeitszimmer. Zu den Wagenteilen hat Classen bis heute eine umfangreiche Sammlung mit über 600 Objekten zur Kieler Straßenbahn angelegt, die gut sortiert und beschriftet in Regalen oder im Haus zu bestaunen ist.
Gastbeitrag aus dem „Fahrplan“ der KVG Kieler Verkehrsgesellschaft mbH von André Hellmuth
TITELBILD: Straßenbahnwagen, Kinderzimmer und heute eine Bereicherung im Arbeitszimmer. Fast alles ist original erhalten, nur der Fußboden und die Seitenwand mit den Fensterrahmen sind nach den Originalmaßen rekonstruiert.
Jörg CLASSEN. 2020
Zugkomposition
Als noch junger Straßenbahnfahrer stellte Peter Holtorff an einem regnerischen Märztag im Jahr 1977 diese Zugkomposition zusammen und fuhr damit über den Betriebshof. Noch 1967 rückten auf der Linie 4 vom Betriebshof Wik solche Drei-Wagen-Züge als Verstärker aus.
Peter HOLTORFF. 1977-03-27
Sophienblatt
Noch vor Einstellung der Straßenbahnlinie 3 am 24.04.1965 besuchte der Straßenbahnfreund Dieter Höltge die Landeshauptstadt, bereiste die gesamte Strecke der Linie 3 und hielt ein letztes Mal die Szenen mit der Straßenbahn in den Straßenzügen im Bild fest. Hier die Begegnung auf dem Sophienblatt, nach links ging es in die Lerchenstraße.
Dieter HÖLTGE. 1965-04-15