Ein Kieler Wagen in Braunschweig, Beiwagen 62

Auch mit über 80 Jahren gehört der ehemalige Kieler Straßenbahn-Beiwagen in Braunschweig noch nicht zum alten Eisen und ist wiederkehrend in der Stadt an der Oker als Museumswagen im Sondereinsatz. Die Waggonfabrik Uerdingen produzierte von 1939 bis 1940 24 Beiwagen für den Kieler Verkehrsbetrieb, von denen bis heute ein Fahrzeugsegment und vier Wagen erhalten sind. Schauen wir uns das Fahrzeugleben des Beiwagens 62 an.

Mehrfach zerstört

Nach der Inbetriebnahme des Beiwagens 62 am 8. September 1939 kam der Wagen bis zu einem ersten Kriegsschaden am 13. Dezember 1943 zum Einsatz. Zur Reparatur und Instandsetzung kam der Wagen im April 1944 in die Seestadt Wismar zur gleichnamigen Triebwagen- und Waggonfabrik. Am 19. August war der Wagen wieder an der Förde. Doch die Einsatzdauer währte nur bis zum nächsten Kriegsschaden am 09. April 1945. Ein Wiederaufbau des Wagens fand erst in der jungen Bundesrepublik von August 1951 bis Februar 1952 in den Werkstätten der Kieler Verkehrs-AG (KVAG) statt. Dabei stellte die KVAG die Inneneinrichtung vereinfacht, ohne die Plattformschiebetüren (Perronabtrennung), wieder her.

Keine Modernisierung, Abstellung

Während 1964 fast die ganze Wagenserie in das Werk der Düsseldorfer Waggonfabrik (DÜWAG) für einen Umbau zum schaffnerlosen Betrieb als Ein-Richtungs-Beiwagen kam, blieb der Wagen 62 zunächst unverändert im Einsatz. Mit Einstellung der Straßenbahnlinie 2 im Jahr 1969 kam der Wagen nach 30 Jahren dann (endgültig) auf das Abstellgleis.

Die Bahn zum Kieler Umschlag

Mitte der 1970er Jahre suchte die KVAG nach den Ereignissen seit dem Ende der 1960er Jahre, wie z. B. Fahrpreiserhöhungen und schlechte Bilanzen, nach Sympathien. Hierbei erinnerte sich die Betriebsleitung an den Wagen 62 und stellte zusammen mit dem 1969 ebenfalls betriebsfähig abgestellten Verbandstriebwagen mit der Nummer 198, einen von Kunststudenten entworfenen und bunt bemalten Straßenbahnzug zusammen. Im Beiwagen gab es lange weiße Gardinen vor den Fenstern, der Motorwagen mutierte zum barocken „Plüsch-Wagen“ mit kurzen weißen Gardinen und seitlichen langen roten Schals sowie „Häkeldeckchen“ an den Sitzen. Zur Beschallung der Fahrgäste gab es ein Radio- und Kassettenabspielgerät. So fuhr der Zug nach seinem ersten Einsatz am 7. Februar 1976 fortan zum Kieler Umschlag oder bei Sonderfahrten durch die Stadt.

Neues Einsatzgebiet an der Oker

Wegen der anstehenden Hauptuntersuchung im Jahr 1983 kam der Beiwagen am 01. Oktober des Jahres im Rahmen einer Sonderfahrt zu seinem letzten Einsatz in Kiel hinter dem Triebwagen 198. Der Wagen ging zum Verkehrsbetrieb nach Braunschweig, der ihn mustergültig im Rahmen einer Hauptuntersuchung wieder aufbaute, um ihn fortan als Museumswagen mit der Nummer 2 hinter ihrem Triebwagen 1 einzusetzen. War der Wagen anfänglich in einer Farbkombination Silber mit Braun im Einsatz, so zeigt er sich heute mit der Nummer 250 im klassisch beigen Farbkleid mit grünen Zierstreifen in der Stadt.

Gastbeitrag aus dem „Fahrplan“ der KVG Kieler Verkehrsgesellschaft mbH von André Hellmuth
TITELBILD: In der Abstellhalle des Betriebshofs präsentiert sich der ehemalige Beiwagen aus Kiel im historischen Farbkleid der Braunschweiger Verkehrsbetriebe.
AFH. 2014-07-19
Howaldt Gaarden
In den 1950er Jahren fährt ein typenreiner Drei-Wagen-Zug, aus der Elisabethstraße kommend, in der Werftstraße die Haltestelle „Howaldt Gaarden“ an (Tw 220, Bw 62, Bw 68).
Kiel: Kieler Verkehrs-AG. [ca. 1958 bis 1962]. Slg. Peter HOLTORFF. Archiv André HELLMUTH
Betriebshof Gaarden
Auf dem großen Betriebshof Gaarden gab es nach Einstellung dreier Straßenbahnlinien in den 1960er Jahren viel Platz, um die „neue“ Asmus Bremer Umschlag-Bahn für ein Foto in das richtige Licht zu rücken.
Peter HOLTORFF 1976-09-12. Archiv André HELLMUTH
Asmus Bremer Innenaufnahme
Zum Kieler Umschlag am 7. Februar 1976 kam der „neue“ Wagen zu seinem ersten Einsatz. Gut zu erkennen ist die nicht vorhandene Abtrennung zur Plattform, an deren Stelle nur zwei kleine Scheiben über den Einzelsitzen bei dem Wiederaufbau eingebaut wurden.
Peter HOLTORFF, 1976-02-07. Archiv André HELLMUTH
Braunschweig
Im Gegensatz zur Landeshauptstadt Kiel konnte sich die Straßenbahn in Braunschweig weiter etablieren. Mit Erfolg: Modernste Straßenbahnzüge bringen die Menschen mit einem hochwertigen und nachhaltigen Verkehrsmittel an ihr Ziel. Dabei gibt es auch einen sehr gepflegten Oldtimer-Fuhrpark, zu dem unser ehemaliger Beiwagen mit der neuen Nummer 250 zählt. Ob es in Kiel zu einer Renaissance der Straßenbahn kommt?
Andreas GÜRTLER, 2001-05-07