Ein (Weiter-)Leben als Bartresen, Beiwagen 61

Die Waggonfabrik Uerdingen produzierte von 1939 bis 1940 24 Beiwagen für den Kieler Verkehrsbetrieb, die Allgemeine Lokalbahn- und Kraftwerke-A.-G. (ALOKA), Betriebsverwaltung Kiel. Aus dieser Serie sind bis heute ein Fahrzeugsegment und vier Wagen erhalten, von denen wir uns den Wagen mit der Nummer 61 ansehen.

46 Jahre im Einsatz

Die Inbetriebnahme des Beiwagens 61 ist in dem ältesten vorhandenen Revisionsbuch mit dem 7. Oktober 1939 dokumentiert, fast 1 ½ Monate nach dem Wagen 71 (27.08.1939). Auch er überstand, wie Wagen 71, ohne große Schäden den Zweiten Weltkrieg. Nach kleineren Reparaturen und Erneuerungen der Bandagen bis Mitte der 1950er Jahre erhielt der Wagen 1957 eine technische Modernisierung in Form neuer Radlager, einer Schienenbremse, Bremsleuchten und vieler kleinerer technischer Details. 1964 kam auch dieser Wagen – wie fast die ganze Serie – ins Werk der Düsseldorfer Waggonfabrik (DÜWAG) und erhielt einen Umbau zum schaffnerlosen Betrieb als Ein-Richtungs-Beiwagen.

Bis zum (bitteren) Ende

Nach der Modernisierung gab es für den Beiwagen Einsätze auf den verbliebenen Linien 1, 2 und 4, bis von 1969 an nur noch Einsätze hinter den Gelenktriebwagen auf der einzigen Kieler Straßenbahnlinie 4 vorgesehen waren. Mit dem Datum „28. Februar 1978“ ist die letzte Hauptuntersuchung im Betriebshof Gaarden datiert, an dem der Beiwagen komplett revidiert und mit Neulack aus der Hauptwerkstatt wieder zum Einsatz kam. Und so fuhr dieser bis zum letzten Tag hinter den Sechsachsern durch die Kieler Landeshauptstadt.

Die Verwandlung

Nach der Gesamteinstellung des Straßenbahnbetriebes ist der Beiwagen 61 in Kiel geblieben. Nach seinem letzten Einsatz am 04. Mai 1985 hinter dem Sechsachser 267 stellte ihn sein neuer Besitzer zunächst in eine der leerstehenden Hallen der ehemaligen Hagenuk-Eisengießerei am Grasweg unter, die zuletzt für die Saatgut- und Getreidetrocknung genutzt wurde. Als sich die Visionen des neuen Eigentümers des Beiwagens 61 von einem „Kulturpalast“ (Traumfabrik) an diesem Standort konkretisierten, integrierte er das Fahrzeug als Bar in den Veranstaltungsbereich. Auch wenn heute einige Teile fehlen (Notbremsen, Kabelverbindungen, Stoßstange …) und der Wagen teils seitlich eingebaut ist, ist hier ein echtes Stück Kieler Geschichte erhalten geblieben – wenn auch in einer geänderten Nutzungsart.

Gastbeitrag aus dem „Fahrplan“ der KVG Kieler Verkehrsgesellschaft mbH von André Hellmuth
TITELBILD: Der Kieler Straßenbahn-Beiwagen mit Nummer 61 blieb erhalten und ist in die große Veranstaltungsfläche der Traumfabrik als Bartresen integriert. Viel schöner als in dem künstlichen Tageslicht fügt sich der Wagen in die vielfältige Beleuchtung bei Veranstaltungen ein und ist so kaum noch als Straßenbahn zu erkennen.
AFH. 2014-07-11
Traumfabrik Innenaufnahme
Im Innenbereich erinnert kaum noch etwas an die Straßenbahn. Die Sitzbänke wichen einer modernen Bareinrichtung, und die rote Farbe schafft einen spannenden Kontrast.
AFH. 2014-07-11
Holstenbrücke
Prosperierende Zeiten bei der Kieler Straßenbahn. Wenige Monate vor der (letzten) Streckenerweiterung im Netz der Kieler Straßenbahn zur neuen Universität (Linie 2) hielt der Straßenbahnfreund Bruno Bartsch den Beiwagen 61 mit dem nach gleichen Baumuster in Wismar gebauten Triebwagen an der Holstenbrücke im Bild fest.
Bruno BARTSCH. 1955-03-13. Slg. Jürgen POHLE. Archiv André HELLMUTH
Augustenstraße
Wenige Monate vor der Gesamteinstellung des Straßenbahnbetriebes in Kiel zeigt sich im Februar 1985 der Beiwagen 61 hinter dem Sechsachser 272 im Stadtteil Gaarden. Auf der Elisabethstraße, Haltestelle Augustenstraße, hält der Straßenbahnzug inmitten der Straße an, und von beiden Straßenseiten erreichen die Fahrgäste die Bahn.
Peter HOLTORFF. 1985-02. Archiv André HELLMUTH